Rede von Gabriela Montero anläßlich der Beethovenpreisverleihung

Verleihung des  4. Internationalen Beethoven Preises der Beethoven Academy am 4.12.2018 in der Bundeskunsthalle, Bonn, an Persönlichkeiten, die sich für Menschenrechte, Frieden, Freiheit, Armutsbekämpfung und Inklusion einsetzen.

Übersetzung der Rede der Preisträgerin,

der Pianistin und Komponistin Gabriela Montero

Meine Damen und Herren,  Ladies and Gentlemen,

Guten Abend, good evening

W E R ?

Als Kind wird man oft gefragt: „WAS möchtest du sein, wenn du groß bist?“  Da ich bereits im Alter von 5 Jahren Konzerte gab, war es nicht unlogisch, dass ich mich als Pianistin und Komponistin sah.

Die Frage, die Kindern in der Schule nie gestellt wird, ist: „WER möchtest du sein, wenn du erwachsen bist?“

Vermutlich sind Kinder noch nicht in der Lage, mit den moralischen

Implikationen dieser Frage etwas anzufangen. Genauso wenig können sie vorhersagen, dass WER sie eines Tages werden, wenig zu tun hat mit der Wahl ihres Berufes und alles zu tun hat mit den moralischen Entscheidungen, die die Welt sie später zwingen wird zu treffen.

Es sind diese schweren moralischen Entscheidungen, die letztlich definieren werden, WER wir als Menschen sind, ganz gleich in welchem beruflichen Umfeld wir diese zu treffen haben.

Im politischen Kontext werden die meisten von uns in der modernen westlichen Welt gezwungen werden, „Erste-Welt“- Entscheidungen zu treffen, so nenne ich sie. Das bedeutet, dass sogar im heutigen polarisierten, exzentrischen politischen Klima diese Entscheidungen größtenteils in einem Umfeld von gesunden, funktionierenden Demokratien gefällt werden.

Diese ausgleichenden Parameter der Demokratie existieren nicht in meiner Heimat Venezuela, einem Land, das sich außerhalb jeglicher politischen und moralischen Normen bewegt. Und es ist die weitergehende, derzeitige Geschichte von Venezuela, die mich heute Abend auf diese Bühne gebracht hat.

Wer ich werden würde, wurde nicht von meiner Berufswahl  zur Musikerin bestimmt, sondern von meiner Entscheidung, einer bösartigen Tyrannei aktiv Widerstand zu leisten, einer Tyrannei, die kein Schullehrer in meiner Kindheit jemals hätte voraussehen, geschweige denn sich hätte vorstellen können.

Der Chavismus hat mich gezwungen etwas zu werden, von dem ich als schüchternes Kind niemals geträumt hätte; eine Musikerin mit einem Gewissen, eine kreative Andersdenkende, und eine entschlossene Stimme für die stimmlosen in Venezuela. Dies sind Rollen, nach denen ich nicht gefragt habe, die ich aber annehme, weil ich dies als meine Pflicht und als Protest ansehe.

Erlauben Sie mir bitte jetzt, eines unzweifelhaft klar auszusprechen. Venezuela ist KEINE Demokratie. Das Wahlsystem ist eine Farce und wird vom Regime bestimmt, und kann eine bösartige Diktatur nicht verschleiern, die systematisch jedwede Ähnlichkeit mit einer demokratischen Struktur zerstört hat: jeder Zweig der Regierung ist von der Diktatur an sich gerissen worden, infiziert, korrumpiert und ausgemerzt von der alles zerstörenden und vom Staat unterstützten Kriminalität.

Es gibt nur einen „-ismus“, der solch eine historische, gigantische Auslöschung des Staates beschreiben kann. Kein Sinn, keine Ideologie steht hinter der derzeitigen Wiederholung des Castro-Kubanischen revolutionären Chaos.

Woran die Menschen in Venezuela heute leiden, ist die totale Abwesenheit jeglicher Hoffnung, es gibt keine Ziele, keine Nahrungsmittel, es mangelt an Medizin, Sicherheit und an dem Grundrecht des Menschen zu Überleben, es gibt keine Art von Möglichkeiten, keine Zukunft. Der Tod lauert hinter jeder Ecke in dem Gewehrlauf eines Verbrechers, in dreckigen Hospitälern, durch Verhungern, Mangel an allem, in willkürlicher Verhaftung und Folter, und in Form von menschlicher Verderbtheit, so wie sie die wenigsten in diesem privilegiertem Raum in ihrem Leben jemals erleben werden.

Ich habe sie gesehen. Ich kenne die Toten, die Sterbenden, die Enteigneten. Ich habe gesehen, wie meine Familie aus ihrem Vaterland geflohen ist und einen Neuanfang ganz von unten wagen musste.

Ich stehe hier, um dem einzigen „-ismus“ zu trotzen, der die schwierige Lage von Venezuela heute bestimmt,  der  NIHIL-ISMUS, der uns von der Narkomafia oktroyiert wurde, die hunderte Milliarden Dollar in ihren eigenen Taschen verschwinden ließ, während sie sich zynisch für die Armen einsetzte.

Ich fordere die Erste Welt heraus, Sessel-Ideologen, die im Namen der Revolution Eigentumsrecht auf das Mitleid anmelden, während sie Staatskriminelle unterstützen, die eine gesamte Nation verarmen ließen und enteigneten, Kriminelle, die an revolutionärer Rhetorik festhalten und die in ihren Privatjets auf ihre Anwesen in Miami und in der Karibik fliegen.

Ich flehe meine Kollegen in der Klassischen Musik-Branche an, nicht in der geschmacklosen; finanziell vorteilhaften und Marketing-freundlichen LÜGE  zu schwelgen; dass Musik das Allerheilmittel sei! Wie alles Schöne in Venezuela ist die Wirksamkeit der Musik unterhöhlt worden von dem bösartigen Bakterium Korruption.

Sogar unsere Musik wird von der Mafia benutzt, monopolisiert und für finanziellen und politischen Gewinn instrumentalisiert. Meine Botschaft an die venezolanischen Musiker ist einfach. Lest unsere Geschichtsbücher. Lernt von den andersdenkenden Komponisten der Vergangenheit, die erkannten, dass der wahre Sinn und Wert der Musik darin liegt, dass wir auf uns selbst sehen und erkennen, WER wir wirklich sind, welche Art von Mensch wir uns entschlossen haben, zu werden. Jeder Musiker, der glaubt Musik ist nur ein Pflaster, weiß nichts über Musik und noch weniger über ihre Heilkraft.

Die Heilung muss aus der Tiefe des Bewusstseins der venezolanischen Gesellschaft kommen. Sie kann nur dann beginnen, wenn die Mafia, die uns in Geiselhaft hält, vertrieben und zur Rechenschaft gezogen wird; wenn zweckdienliche, förderliche Allianzen durchtrennt werden, wenn vorübergehendes Selbstinteresse aufgegeben wird für ein permanentes und großes Wohlergehen der Nation. Bis die echte Heilung beginnt, muss unsere Musik im Protest laut brüllen. Wir müssen die Trommeln des öffentlichen Dissens schlagen und die Trompeten des Widerstands hören lassen. Wir müssen erschaffen, um die Tatsachen zu ENTHÜLLEN, nicht um sie zu REINZUWASCHEN und sie zu MASKIEREN. Wir können nicht Geiseln sein der Abhängigkeit, in der Hoffnung dass der selbsternannte Meister Krumen von seiner festlichen Tafel fallen lässt.

 

Es gibt in diesem Raum drei junge Musiker, die die notwendigen Schritte zu dieser Selbstbestimmung unternommen haben und es war mir eine Ehre, auf ihrem Weg zu spiritueller, psychischer und materieller Freiheit eine Rolle zu spielen. Bis eines Tages die Zeit kommt, in der die Musik in Venezuela von der Mafia getrennt wird, die den Untergang unseres Landes in den Staatsbankrott bewerkstelligt hat, ermuntere ich alle venezolanischen Musiker, dem Weg von Johan, Ariana und Luis zu folgen. Versucht einen unabhängigen Weg zu Freiheit , Sicherheit und Erfolg zu finden. Ich ermuntere alle Orchester und musikalischen Erziehungseinrichtungen, ihnen nach Möglichkeit bei diesem Unterfangen zu helfen, indem sie dem Beispiel des ESMUC (Escola Superior de Música de Catalunya) Konservatoriums in Barcelona und der Royal Irish Academy of Music in Dublin folgen, und den jungen Musikern großzügig ihre Türen öffnen, die sich eindeutigen und allzeit gegenwärtigen Gefahren in ihrer Heimat  ausgesetzt sehen.

Letztlich möchte ich der Beethoven Academy dafür danken, dass sie mich heute Abend eingeladen und mir die Gelegenheit geboten hat, zum wiederholten Male klar und deutlich zu betonen:  SCHWEIGEN  IST  KEINE  OPTION. Ich werde NICHT einfach den Mund halten und spielen. Dies ist MEINE Entscheidung  –   WER ich beschlossen habe;  zu sein.

Guten Abend meine Damen und Herren.